Die Kastanie im Fokus
Eine Kastanie übersieht man nicht so leicht – sie steht gerne im Vordergrund! Dicke, prall gefüllte Knospen machen selbst im Winter auf sie aufmerksam. Man könnte sagen: Sie wirkt recht zuversichtlich und selbstsicher, auch wenn kalte Winterstürme durch ihre Äste pfeifen. Im Frühjahr, wenn andere Bäume noch an ihren Knospen herumdrücken, hat die Rosskastanie schon die klebrigen Knospen gesprengt, die Schuppen weiten sich und heraus kommt ein wolliger Blättertrieb, der sich dehnt und zu großen gefingerten Blättern entfaltet. Fast zur gleichen Zeit treiben die Blüten heraus. Auch hier gilt „Nicht kleckern, sondern klotzen“: Riesige Blütenkerzen leuchten an den äußersten Zweigen auf. In die unzähligen weißen Blüten scheint der Maler seinen Pinsel getupft zu haben, denn jede ziert ein bunter Fleck.
Die Kastanie stammt ursprünglich aus Westasien und Südosteuropa. Erstmalig soll sie 1576 in Wien aus Samen gezogen worden sein. Heute ist sie wieder fast überall in Europa verbreitet. Zur Zeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV. galt die Kastanie als der Baum schlechthin – der Monarch ließ sie zur Bepflanzung der Schlossgärten und Alleen verwenden. Viele Fürsten wollten dem König in nichts nachstehen und ordneten ebenfalls das massenweise Pflanzen von Kastanien an. Auch heute gibt es viele Liebhaber dieses Baumes, die sich an heißen Sommertagen gern mit einem kühlen Bier darunter niederlassen. Kaum ein Baum spendet solch einen kühlen, dunklen Schatten.
Doch zurück zur malerischen Blüte: Angelockt vom reichlich fließenden Nektar sorgen Hummeln und Bienen für die Bestäubung. Nach der kurzen Blütezeit geht es weiter mit der Fruchtbildung. Die Kastanie kleidet ihre Früchte wie kleine grüne Stachelfische, die ab September irgendwann vom Baum purzeln. In ihnen finden sich tiefbraune Kastanien, die wie ein frisch polierter Mahagoni-Schreibtisch glänzen. Gerade die Früchte machen den Baum wertvoll – zum Beispiel für das Wild, als nahrhafte Speise. Aber auch für den Menschen würden sich Kastanien als Nahrung anbieten, weil sie sehr stärkereich sind – doch ihr hoher Anteil an Gerbstoffen und Bitterstoffen hält uns vom Verzehr ab. Einige Verwendungsmöglichkeiten fand der Mensch trotzdem: Statt Hopfen nahm man zum Bierbrauen kleingeschnittene Kastanien, auch als Kaffeeersatz mussten sie herhalten. Außerdem lässt sich aus den Früchten ein Leim herstellen, welcher in der Buchbinderei oder zum Tapezieren verwendet werden kann – er schützt vor Fäulnis und gilt als insektenabwehrend. Teilweise nutzte man Mehl aus Kastanien auch als Pflegemittel für rissige und raue Hände – Kenntnisse, die heutzutage eigentlich gar nicht mehr notwendig sind. Beim Spielen, Basteln und Dekorieren erfreut sich die Kastanie hingegen nach wie vor großer Beliebtheit bei Alt und Jung. Beim nächsten Herbstspaziergang empfiehlt es sich, die Augen nach besonders hübschen Exemplaren aufzuhalten.