Gut gebaut, aber schlecht organisiert?
Auf zwei Kurztrips in benachbarte Bundesländer wurde mir vor kurzem wieder einmal vor Augen geführt: Barrierefreiheit hat viele Bausteine. In manchen Fällen ist das wortwörtlich zu nehmen. In einer kleinen Seitengasse in Schorndorf sah ich zum ersten Mal ein Konzept „in natura“ umgesetzt, welches ich bis dahin nur aus den Medien kannte: Vor einem Geschäft war eine besondere Rollstuhlrampe installiert – sie bestand aus hunderten von Lego-Steinen. Ganz neu ist die Idee nicht – sie wurde jedoch von einer findigen Hanauer Seniorin perfektioniert: Rita Ebel ist selbst auf den Rollstuhl angewiesen und baut – inzwischen mit ehrenamtlichen Helfern – aus gespendeten Steinchen Rampen. Diese sind so konstruiert, dass sie auch von schweren Elektrorollstühlen genutzt werden können. Die „Lego-Oma“ – so bezeichnet sie sich selbst – hat bereits über 120 Auffahrten für verschiedene Geschäfte und Einrichtungen realisiert und schaffte es damit bundesweit in Zeitungs- und Fernsehberichte. Die Bauanleitungen versendet sie auf Wunsch auch.

Selbst wenn bauliche Barrierefreiheit gegeben ist, kann sie durch suboptimale Organisation schnell nutzlos werden. Neulich am Bahnhof Erfurt: Dicht gedrängt warten Menschen auf den Regionalexpress nach Nürnberg. Da das Gleis noch von einem anderen Zug belegt wird, rechnen einige Reisende schon damit, dass der besagte Regionalexpress auf einem anderen Bahnsteig einfahren wird. Genau so kommt es dann auch. Das neue Gleis erfahren die Wartenden jedoch erst rund drei Minuten vor der Abfahrt. Hunderte Passagiere eilen von einem Ende des Bahnhofs zum anderen. Eine Ü60-Reisende mit Koffer schafft es noch in den Zug, ihr Mann, der die Fahrräder über die Aufzüge zum neuen Bahnsteig transportieren muss, jedoch nicht. Menschen mit beeinträchtigtem Gehvermögen haben in solchen Fällen auch schnell das Nachsehen. Zwar bietet die Deutsche Bahn an, mobilitätseingeschränkte Kunden durch Personal an den Bahnhöfen zu unterstützen – ob sich in solchen Situationen jedoch immer spontan Helfer finden, ist fraglich. Ohnehin wundern sich viele Bahn-Nutzer, warum Gleiswechsel nicht frühzeitiger kommuniziert werden – insbesondere solche, mit denen wartende Passgiere schon rechnen. Alternativ könnte vielleicht auch die Lego-Oma aus Hanau für jeden deutschen Bahnhof flexible Steinchen-Stege bauen, die mal schnell über die Schienen gelegt werden, damit Menschen mit und ohne Handicap ebenerdig zu einem anderen Gleis gelangen…



