Vom Schilfrohrsänger bis zum Baumaterial
Schon seit Jahrhunderten nutzt der Mensch das Schilfrohr (Phragmites australis). Abgemähte Pflanzen wurden lange Zeit als Einstreu für das Vieh in den Ställen verwendet. Im Jahr 2014 wurde die Reetdachdeckerei in Mecklenburg-Vorpommern zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO ernannt.
Das Schilfrohr ist ein Süßgras und eine typische Sumpfpflanze. Bis zu zwei Meter tiefes Wasser kann die Pflanze tolerieren. Betrachtet man den Stängel, die sogenannte Sprossachse des Schilfrohrs, fallen direkt die Anpassungen an den nassen, manchmal sumpfigen Wuchsort auf: Der Stängel ist hohl, dadurch findet eine Belüftung der Wurzeln statt, obwohl diese im Wasser stehen. An den einzelnen Halmen sind die Blattansätze zudem mit einem Haarkranz ausgestattet, der verhindert, dass bei höherem Wasserstand Wasser in den hohlen Stängel fließen kann. Außerdem sind Blattansätze und Halm nicht fest miteinander verwachsen, sondern beweglich, dadurch kann sich das Schilf im Wind mitbewegen und wird nicht abgeknickt.
Winterstürme verteilen dann die Samen des Schilfrohrs, die in den langen Rispen am Ende des Sprosses stehen. Neben dieser Art der Vermehrung verbreitet sich das Schilfrohr auch sehr effektiv über bis zu 20 Meter lange bodennahe Ausläufer. Dadurch bilden sich schnell dichte Bestände.
Ein idealer Lebensraum für viele Insekten und Vogelarten
Das Schilf bietet vielen Vogelarten Schutz vor Feinden, beherbergt proteinreiches Krabbeltierchen und liefert einen ungestörten Brutplatz. Vielerorts kann man beispielsweise den lebhaften, laut schwatzenden Schilfrohrsänger zwischen den Halmen entdecken. Für Pflanzenarten sind diese Monokulturbestände des Schilfrohrs nicht ganz so optimal. Durch das schnell wüchsige Schilf bleibt wenig Licht und Platz für andere Pflanzenarten.
Schilfrohr als Baustoff
Wir Menschen nutzen das Schilf auf vielfältige Art und Weise, eine besondere Bedeutung hat es als Naturbaustoff. Das Weben von getrocknetem Schilfrohr war früher weit verbreitet, man fertigte Matten als Windschutz, zur Beschattung und Wärmedämmung. Heute gibt es in Deutschland nur noch eine einzige Schilfrohrweberei, diese befindet sich in Brandenburg. Im Bauwesen nimmt es aktuell wieder an Bedeutung zu, da es langsam verrottet, sehr stabil ist und durch die eingelagerte Kieselsäure zudem auch noch brandhemmend ist.
Interessant ist, wie lange Schilf schon als Naturbaustoff verwendet wird. Bereits frühe Pfahlbauten bei uns in Deutschland, die um 4000 v. Chr. entstanden, waren mit Reetdächern gedeckt. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass schon die alten Ägypter Schilfstängel als Schreibrohr nutzten und auch andere Nutzungen für das stabile Süßgras kannten.
