Berlin (dpa) – Verteidigungsminister Boris Pistorius hat zurückhaltend auf Medienberichte über neue Spekulationen zu den Tätern der Sabotage an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 reagiert.
Er nehme die Rechercheergebnisse mit großem Interesse zur Kenntnis, sagte der SPD-Politiker am Morgen im Deutschlandfunk. «Aber wir müssen jetzt mal abwarten, was sich davon wirklich bestätigt. Jetzt hypothetisch zu kommentieren, was wäre wenn, halte ich jetzt für nicht zielführend. Das muss geklärt werden.»
Laut Recherchen von ARD, SWR und der «Zeit» sollen Spuren in Richtung Ukraine führen. Unter Berufung auf geheimdienstliche Hinweise hieß es, eine pro-ukrainische Gruppe könnte verantwortlich sein. Von deutscher Seite äußerten sich die Bundesregierung und der zuständige Generalbundesanwalt auf Anfrage nicht konkret zu den Berichten.
Pistorius: Möglichkeit einer False-Flag-Aktion
Auf die Frage, welche Auswirkung eine Bestätigung der Berichte auf die westliche Unterstützung für die Ukraine hätte, verwies Pistorius auf die Möglichkeit einer False-Flag-Aktion – «also pro-ukrainischen Gruppierungen das in die Schuhe zu schieben». Bei einer sogenannten False-Flag-Operation legen die Täter absichtlich falsche Spuren, die auf andere Urheber hindeuten. «Die Wahrscheinlichkeit für das eine wie für das andere ist gleichermaßen hoch», sagte Pistorius. «Von daher muss man jetzt einfach die Entwicklung abwarten.»
Auch Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich zurückhaltend. «Natürlich verfolgen wir alle Berichte und auch alle Erkenntnisse, die es von unterschiedlichen Akteuren gibt, ganz, ganz intensiv», sagte die Grünen-Politikerin heute bei ihrem Besuch in der Kurden-Hauptstadt Erbil auf eine entsprechende Journalistenfrage. Zunächst müssten aber die zuständigen Behörden ihre Ermittlungen zu Ende führen. Dies sei nötig, damit «wir dann von Seite der Regierung aufgrund dieser Erkenntnisse dann auch Beurteilungen treffen können und nicht voreilig aus Berichten heraus Schlüsse für uns ziehen».
Die Bundesregierung habe immer wieder deutlich gemacht, dass der Generalbundesanwalt in Karlsruhe für die Ermittlungen zuständig sei. Dieser ermittelt seit Anfang Oktober 2022. «Er hat damit auch die Hoheit über das Verfahren und nicht die Regierung, aufgrund unseres Verständnisses von Rechtsstaatlichkeit», sagte Baerbock.
Moskau sieht sich bestätigt
In Moskau wurden die Medienberichte mit Genugtuung und neuen Vorwürfen an den Westen aufgenommen. Solche Informationen würden von denjenigen gestreut, «die im Rechtsrahmen keine Untersuchungen führen wollen und versuchen, mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit des Publikums abzulenken», schrieb die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, gestern am späten Abend, auf ihrem Telegram-Kanal. Moskau macht für den Anschlag die Geheimdienste der USA und Großbritannien verantwortlich.
Sacharowa behauptete daraufhin einmal mehr, dass westliche Regierungen hinter dem Vorfall steckten. Sie müssten nun zu den russischen Anfragen offiziell Stellung nehmen und zumindest die Recherchen des US-Journalisten Seymour Hersh abarbeiten, forderte sie. Hersh hatte ohne Beweise und unter Berufung auf eine einzelne anonyme Quelle geschrieben, US-Marinetaucher seien für die Explosionen in der Ostsee verantwortlich. Das Weiße Haus wies den Bericht als Erfindung zurück.
Medienberichte: Ermittler haben ein Boot im Fokus
Den Medienberichten zufolge fanden die Ermittler bislang zwar keine Beweise dafür, wer die Zerstörung in Auftrag gab. Sie machten demnach aber ein Boot aus, das für das Unterfangen in der Ostsee verwendet worden sein könnte. Die fragliche Jacht sei von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden, welche «offenbar zwei Ukrainern gehört», hieß es. Zudem habe ein Team, bestehend aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, den Sprengstoff laut Ermittlungen zu den Tatorten gebracht.
Welchen Nationalitäten die Leute angehörten, sei unklar, hieß es in dem Bericht weiter. Sie hätten offenbar gefälschte Pässe verwendet. Die Behörden hätten herausgefunden, dass das Boot wohl vor der Pipeline-Explosion am 6. September in Rostock aufgebrochen sei. Danach hätten sie es noch in Wieck am Darß im Landkreis Vorpommern-Rügen und an der dänischen Insel Christiansø, nordöstlich von Bornholm, ausfindig gemacht.
Ende September waren nach Explosionen nahe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm insgesamt vier Lecks an den beiden Pipelines von Russland nach Deutschland entdeckt worden. Die schwedischen Sicherheitsbehörden hatten im November festgestellt, dass es sich um schwere Sabotage gehandelt habe – ohne jedoch einen Schuldigen zu benennen.