Sportmedizin hilft nicht erst nach Skiunfällen
Eine wirkliche Nebensaison für Sportmediziner gibt es im Grunde nicht, eher zwei Hauptsaisons. Diese unterscheiden sich dadurch, ob das Gros der Patienten sich seine Verletzungen auf der Piste oder auf dem Fußballplatz zugezogen hat. In den vergangenen Wochen endete so mancher Wintersporturlaub wieder in einem Behandlungszimmer. Und nicht erst seit gestern ist eine gewisse Entwicklung spürbar: „Es werden prinzipiell mehr Fälle, die aber auch im Durchschnitt etwas schwerere Verletzungen aufweisen“, resümiert Prof. Dr. Peter Angele, Sportmediziner in Regensburg. Als einen Grund für diese Entwicklung sieht er den Trend zu Carving-Ski, welche mit ihren höheren Kurvengeschwindigkeiten weniger versierte Wintersportler auch überfordern können. Dennoch weisen die Statistiken nicht viele Unfälle mit massiven Verletzungen auf. „Das dürfte unter anderem am technischen Fortschritt im Bereich der Sicherheitsausrüstung liegen“, so die Einschätzung von Prof. Dr. Johannes Zellner, welcher wie sein Kollege Angele als anerkannter Kniespezialist gilt.
In der aktuellen Sportmedizin pflegt man bei Ski- und anderen Freizeitunfällen inzwischen eine andere Herangehensweise als noch vor 20 Jahren. „Bei komplexen Bandverletzungen beispielsweise wurde vor allem versucht, das vordere Kreuzband zu rekonstruieren, alles außenrum wurde oft sich selbst überlassen“, erklärt Prof. Dr. Angele. Eine instabile Peripherie kann aber längerfristig wieder für Probleme im Zentrum sorgen – deswegen ist man mehr dazu übergegangen, auch z.B. Kapsel und Bandapparat in den Fokus zu stellen. Zudem versucht man bei dementsprechenden Verletzungen, soviel Meniskus wie möglich zu erhalten.
Die prinzipielle Fitness des Patienten spielt auch bei der Genesung eine wichtige Rolle, Leistungssportler haben hier einige Vorteile gegenüber Freizeitsportlern. Dazu gehört neben einem hohen Trainingsgrad der Muskulatur auch eine psychologische Komponente: Der Wunsch, möglichst schnell zum Sport zurückzukehren, kann für Beschleunigung sorgen. „Bei Menschen, die hingegen in der Rehaphase zurückhaltend sind, weil sie z.B. Angst haben, etwas falsch zu machen, kann die Genesung deutlich länger dauern“, betont Dr. Andreas Voss, welcher auf die regenerative Therapie von Schulter- und Ellenbogenerkrankungen spezialisiert ist.
Sportmedizin setzt nicht erst an, wenn der Patient nach einem Unfall in der Praxis erscheint. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Prävention auch an Bedeutung gewonnen. Ziel ist es, den menschlichen Bewegungsapparat regelmäßig so zu fördern und zu fordern, dass er möglichst bis ins hohe Alter mobil bleibt und besser auf sportliche Belastungen vorbereitet ist. Auch in Unfallsituationen „reagiert“ ein fitter Körper anders, was u.a. Verletzungen glimpflicher ausfallen lassen kann. Für die Wintersportler bedeutet dies, frühzeitig aktiv zu werden. Wer erst auf dem kalten Skihang anfängt, sich zu dehnen, arbeitet nach den aktuellen Erkenntnissen der Sportmedizin kontraproduktiv. Eher sollte bereits im Herbst mit einem gezielten Training die Muskulatur gestärkt werden – damit auch Begegnungen mit Pistensäuen nicht allzu sehr „in die Knochen“ gehen…