Wie „virtuell“ sollten Freizeitziele sein?
Spätestens ab den 1980er Jahren setzte in vielen Deutschen Museen ein gewisses Umdenken ein: Wo immer es möglich war, wurden interaktive Elemente in die Ausstellungen integriert. Die Besucher durften nicht mehr länger nur Tafeln lesen und Exponate betrachten, sondern verstärkt auch selbst tätig werden: Per Knopfdruck Schau-Dioramen in Bewegung versetzen, Experimente durchführen, Quizfragen beantworten und vieles mehr. Mit der fortschreitenden Entwicklung der Digitaltechnik kamen hier neue Möglichkeiten dazu. In vielen Museen gehören Touchscreens inzwischen zur Standardausstattung – sie können nicht nur erklärende Hinweise in unzähligen Sprachen liefern, sondern Zusatzmaterial in Form von Bildern, Videos oder interaktiven Spielen. Nicht selten können die Gäste auch ihre eigenen Smartphones nutzen, um durch Scannen von QR-Codes weitere Informationen zu Exponaten abzurufen. Früher hatte der „vorbildliche“ Museumsbesucher einen Führer in gedruckter Form dabei, heute trägt er denselben Gegenstand in der Hand wie in vielen anderen Momenten des Alltags: das Mobiltelefon.
Auch in Freizeit- und Themenparks spielen Smartphones inzwischen eine größere Rolle: Immer öfter ersetzen sie den Übersichtsplan aus Papier, welcher zu den Attraktionen führt. Eigens für die Parks entwickelte Apps zeigen z.B. auch die aktuellen Wartezeiten für Wildwasserbahn & Co. an, erlauben Tischreservierungen für Restaurants oder ermöglichen bargeldloses Zahlen in den Souvenirshops. Der Einsatz von Digitaltechnik geht jedoch noch weiter: Auch in Deutschland gibt es mittlerweile Achterbahnen mit Virtual-Reality-Systemen. Die Fahrgäste steigen dabei mit speziellen Brillen in eine echte Bahn ein, sehen während der Fahrt aber nicht die reale Umgebung, sondern eine am Computer erzeugte 3D-Welt. Sowohl die individuellen Kopfbewegungen der Besucher als auch die Bewegungen des Achterbahnwagens werden dabei in Echtzeit verarbeitet – das in der Brille sichtbare Bild passt also zum Körperempfinden. Was die Gäste während der Fahrt sehen, ist rein virtuell und lässt sich im Grunde per Knopfdruck variieren. So kann dieselbe Achterbahn theoretisch bei der ersten Fahrt durch einen digital generierten Weltraum sausen, bei der zweiten Runde durch eine Unterwasserwelt.
Ein grundsätzliches Problem gibt es jedoch: Auch wenn die gezeigten Szenerien fotorealistisch wirken – das menschliche Gehirn errät in den allermeisten Fällen, ob es einen Gegenstand „in natura“ oder auf einem Bildschirm bzw. einer Leinwand erblickt. In den letzten Jahren entstanden gerade in internationalen Parks aufwändige Attraktionen, welche auf geschickte Weise reale Kulissen und projizierte Welten verbinden und dabei versuchen, nahtlose Übergänge zu schaffen. Dennoch bleibt bei vielen Besuchern stets das leise Gefühl: „Irgendwas ist nicht ganz echt!“ Zwar wurden in Themenparks schon immer Welten präsentiert, welche „nicht ganz echt“ sind. Doch für Fans ist es egal, dass der Märchenwald nicht wirklich von Feen bewohnt wird oder dass hinter der Westernstadt nicht die weite Prärie, sondern der Mitarbeiterparkplatz liegt. Sie können in diese künstlichen Welten unter anderem eintauchen, da alles Sichtbare im Prinzip auch angefasst werden kann. Bei virtuellen Szenerien ist dies nicht der Fall.

Im Grunde spricht nichts dagegen, dass die Freizeitbranche digitale Technik zur Verbesserung ihrer Angebote nutzt – wenn dies punktweise und geschickt geschieht, kann es Attraktionen tatsächlich auf ein neues Level heben. Wenn aber „echte künstliche Welten“ mehr oder weniger komplett durch virtuelle Erlebnisse ersetzt werden, sorgt das nicht selten für Kritik. So werden die großen Parkbetreiber wie Universal, Disney und Six Flags von ihren Fans immer dann für neue Attraktionen gescholten, wenn dort so gut wie keine „realen“ Figuren oder Kulissen zu sehen sind, stattdessen aber viele Leinwände. Nur ein Beispiel von vielen: 2008 wurde bei einem Großbrand in einem bekannten US-Park eine hausgroße, bewegliche King-Kong-Figur zerstört, welche jahrzehntelang die vorbeifahrenden Besucher „attackiert“ hatte. Wenig später baute man ein imposantes 3D-Kino, in dem auf einer Rundum-Leinwand der Riesenaffe die Besucher vor angreifenden Sauriern beschützt. Die Action fiel wesentlich dynamischer als vorher aus – dennoch war die Reaktion auf den nicht-greifbaren Primaten gerade bei Fans und Jahreskarteninhabern sehr zurückhaltend. Ein Grund dafür mag die bereits erwähnte Untrüglichkeit des menschlichen Gehirns sein. Doch auch die gesellschaftliche Entwicklung trägt dazu bei: Kinder und Jugendliche sind für rein virtuelle Erlebnisse vielleicht noch uneingeschränkt zu begeistern – gerade wer im Berufsleben aber schon jahrelang an Bildschirmen arbeiten musste, wünscht sich zumindest bei Ausflügen nicht selten eine gewisse Distanz zu Displays aller Art. Die Freizeitbranche sollte also im Optimalfall die goldene Mitte finden – damit ein Besuch in einem Museum, im Dinosaurierland oder im Märchenschloss nicht dröge wirkt – aber eben auch nicht irgendwie an eine weitere Videokonferenz erinnert…