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Montag, 10 Februar 2025
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Die fehlenden Hände waren nicht das Handicap …

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Integration von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt

„Wie soll das denn funktionieren?“, fragte ich mich insgeheim, als Ali vor rund vier Jahren in unserer Redaktion als Praktikant im Bereich Videoschnitt anfing. Beim Schneiden von Videosequenzen am Computer arbeitet man üblicherweise gleichzeitig mit der Maus und der Tastatur, um Szenen schnell markieren und editieren zu können. Die dafür nötigen zwei Hände fehlten Ali jedoch – er stammte aus einem Krisengebiet im Nahen Osten und hatte sie bei einem Angriff verloren. Seine Arme endeten wenige Zentimeter über den nicht mehr vorhandenen Armgelenken. Doch laut Lebenslauf war Ali vor seiner Flucht nach Deutschland bereits bei mehreren großen Nachrichtensendern als „Cutter“ tätig. „I´ll take care of that“, meinte er lächelnd zu mir, nachdem ich ihm in meinem schlechtesten Schulenglisch erklärt hatte, wie er eine geplante Videosequenz produzieren solle. Und Ali schnitt gekonnt drauf los! Trotz der fehlenden Finger brauchte er für die Fertigstellung des technisch aufwändigen Clips nicht länger als so mancher Profi mit allen vorhandenen Extremitäten. Ali wurde für mich zu einem Symbol dafür, dass Menschen mit Behinderung auch am sogenannten ersten Arbeitsmarkt Erstaunliches leisten können – selbst in Bereichen, für die sie ungeeignet erscheinen mögen. Rückblickend kann ich schmunzelnd sagen: Ali´s „Handicap“ waren nicht seine fehlenden Hände – eher die Tatsache, dass er es mit der Pünktlichkeit beim morgendlichen Arbeitsbeginn nicht so genau nahm…

„Funktioniert wie woanders auch“, dachte ich mir insgeheim, als ich vor 8 Jahren in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung Dreharbeiten für eine Fernsehreportage durchführte. Dort fertigten junge Männer mit unterschiedlichen „geistigen Handicaps“ Tischkicker. Werkstätten dieser Art stehen teilweise in der Kritik, weil die Bezahlung dort niedriger als in Betrieben auf dem ersten Arbeitsmarkt ausfallen kann. Unabhängig davon tut es jedoch den allermeisten Menschen (ob mit oder ohne Handicap) gut, einer regelmäßigen produktiven Tätigkeit nachzugehen. In der Tischkicker-Werkstatt war das deutlich spürbar – auch daran, wie ernst manche Mitarbeiter ihre Aufgaben nahmen: Selbst beim Anbringen der hundertsten Kickerfigur an den Stangen wurde immer noch mit einer Genauigkeit gearbeitet, die in anderen Firmen bei Routine-Handgriffen gerne mal abhandenkommt und dann zu „Montagsproduktionen“ führt… „Normal“ funktionierte diese Werkstatt übrigens in den Momenten, in denen nicht gewerkelt wurde: In der Mittagspause saßen die Beschäftigten zusammen und sprachen über Dinge, welche in tausend anderen Betriebskantinen ebenfalls thematisiert werden.

„Funktioniert nicht ganz so gut“, dachte ich mir bei Dreharbeiten in einem Unternehmen, in dem die Mitarbeiter Kunststoffteile für diverse Industriezwecke verpacken sollten. In der großen Werkhalle agierten dabei ausschließlich Menschen mit Behinderung – und natürlich ist nicht jedes Handicap gleich. Zwischen den Arbeitern fiel mir eine junge Frau auf, welche zwar schon länger dort tätig war, mit der „fließbandartigen“ Situation aber spürbar überfordert schien. Die Konzentration fiel ihr schwer, wichtige Arbeitsschritte wurden immer wieder übersprungen. Ihre Kollegen reagierten unterschiedlich: Manche leisteten Hilfe und merzten Fehler aus, andere waren sichtlich genervt. Die Stimmung im Team wirkte hier bei weitem nicht so „ausgeglichen“ wie in anderen Werkstätten, welche ich besucht hatte. All das hatte durchaus Ähnlichkeiten zur Berufswelt der Menschen „ohne Behinderung“, wo die Arbeitsleistung Einzelner ebenfalls für Verstimmungen sorgen kann.

All diese Erfahrungen zeigten mir: Die Integration von Menschen mit Handicap am Arbeitsmarkt kann in vielen Fällen gut funktionieren und teilweise „erstaunliche“ Ergebnisse hervorbringen. Dass der Staat Zuschüsse für deren Beschäftigung gewährt, mag manchen Unternehmer dazu bringen, diesbezüglich etwas zu „wagen“ – und im besten Fall positiv überrascht zu werden. Ob Förderungen überhaupt als Anreiz nötig sein sollten, ist jedoch umstritten. Gerade das letzte geschilderte Beispiel zeigt aber auch: Bei allen Integrationsbestrebungen sollte stets erlaubt sein, ehrlich und ohne falsche Dogmen einzugestehen, wenn etwas nicht funktioniert wie gewünscht. Das ist kein Handicap, das ist einfach nur menschlich! Ich bin schließlich auch nicht für jeden Job geeignet…

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