Von Thomas Strünkelnberg, dpa
Hannover (dpa) – Spielen bis zum Umfallen? In der Corona-Pandemie hat sich das Daddeln mit Handy, Spielekonsole oder Computer einer Umfrage zufolge spürbar verstärkt – um dann nur leicht abzuflauen.
Jeder achte Mann zockt häufiger als vor der Pandemie – in der Lockdown-Zeit 2020 war es sogar jede fünfte, wie eine Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse mit Sitz in Hannover ergab. Frauen scheinen weniger anfällig zu sein: Der Umfrage zufolge zockt jede 13. Frau mehr als zuvor, während dies 2020 noch jede achte Befragte sagte. Für die repräsentative Studie wurden im Juli 2020 und im Juli 2022 rund 1000 Menschen im Alter von 16 bis 69 Jahren online befragt. Mit rund 1,6 Millionen Versicherten ist die KKH eine der größten bundesweiten gesetzlichen Krankenkassen.
Erwartungsgemäß gaben vor allem die jüngeren Befragten an, seit der Corona-Krise mehr zu spielen: So sagten 4 Prozent der 16- bis 29-Jährigen, dass sie seit der Pandemie deutlich mehr spielen – 12 Prozent räumten ein, etwas mehr zu spielen. Immerhin 7 Prozent unter ihnen sagten aber auch, dass sie seit der Pandemie deutlich weniger spielen. Unter den älteren Befragten zwischen 30 und 69 Jahren spielte nur ein Prozent deutlich mehr.
Woran ist ein Süchtiger zu erkennen?
Dabei gilt: Nicht jeder, der mehrere Stunden am Stück spielt, ist automatisch süchtig. Es gebe aber klare Alarmsignale, sagte Michael Falkenstein, KKH-Experte für Suchtfragen. Dazu zähle, die Kontrolle über Häufigkeit und Dauer des Spielens zu verlieren, nicht aufhören zu können, das Zocken vor andere Aktivitäten zu stellen und auch bei negativen Konsequenzen weiterzumachen.
«Süchtig nach Computerspielen ist jemand, der seine Familie und Freunde, die Schule oder die Arbeit vernachlässigt, der sich wegen des ständigen Spielens schlecht ernährt, kaum noch schläft, Hobbys und sportliche Aktivitäten sausen lässt», erklärte er. Aber: «Spielen bis zum Umfallen – das ist offenbar immer noch die Ausnahme.»
Dennoch gilt laut der Umfrage: Insgesamt 61 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen spielen Computerspiele – online und offline. 2020 waren es 66 Prozent der Männer und 52 Prozent der Frauen. An mindestens zwei Tagen pro Woche zocken jeder dritte Mann und jede vierte Frau, je 18 Prozent der Frauen und Männer spielen täglich.
Frauen sind zumindest etwas abstinenter
Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es vor allem bei der Spieldauer: Mehr als die Hälfte der männlichen Gamer spielt mindestens eine Stunde täglich an PC, Konsole, Tablet oder Smartphone – an Wochenenden etwas weniger als die Hälfte. Zumindest etwas abstinenter sind Frauen, von denen nur etwa ein Drittel täglich länger als eine Stunde spielt. 16 Prozent der Männer wiederum spielen samstags und sonntags täglich mindestens zwei Stunden und länger, neun Prozent sogar mindestens fünf Stunden.
Warum wird so viel und so lange gespielt? Spaß, Zeitvertreib, Stressabbau und das Abschalten seien Gründe, teilte die Krankenkasse mit. Für Männer gehe es aber auch um Gruppendynamik: 22 Prozent von ihnen spielen demnach, weil es die Freunde auch tun – aber nur sechs Prozent der Frauen. «Männer bevorzugen häufig Spiele, in denen sie sich mit anderen, eben auch mit Freunden, messen können. Das sind zum Beispiel Rollenspiele», erklärte Falkenstein. Besonders Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl nutzten solche Spiele, um sich von Frust und Unsicherheit zu befreien – mit Erfolgserlebnissen ließen sich Misserfolge im Alltag leichter kompensieren.
Es gebe aber auch positive Effekte von Computerspielen, sagte er: «Wenn Spielerinnen und Spieler sich mit anderen zusammenschließen, erleben sie nicht nur gemeinsam etwas, sondern gehen auch soziale Verpflichtungen ein.» Vor allem in den Lockdown-Phasen der Pandemie seien Spiele eine Möglichkeit des sozialen Austauschs gewesen. Um exzessiv spielenden Menschen zu helfen, sei es wichtig, die Ursachen für eine Sucht zu ermitteln, erklärte Falkenstein. Das könnten etwa Depressionen oder soziale Angststörungen sein.
Der Duisburger Psychologe und Kognitionsforscher Matthias Brand schrieb im Mai im Fachjournal «Science», Computerspielsucht sei eine ernsthafte Erkrankung, die messbare Veränderungen im Gehirn hervorrufen könne und mit Alkohol- oder Drogensucht vergleichbar sei. Grund für Panik sei das aber nicht, mahnte er. Nach internationalen Studien lägen Computerspielstörungen bei etwa drei Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor.