Wenn eine alte Anschrift Erinnerungen wachruft
Zur Adventszeit ist sie üblicherweise auf vielen Theaterbühnen zu sehen: Die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Ein selbstsüchtiger Geschäftsmann erhält dabei in der Nacht vor dem Fest Besuch von drei Gespenstern – darunter auch der „Geist vergangener Weihnachten“, welcher ihn an Zeiten erinnert, in denen der Geizhals noch menschenfreundlicher war.
Eine Postsendung, welche vergangene Woche im Briefkasten des Neumarkter Wochenblattes landete, erinnerte die Redaktion ein bisschen an die alte Dickens-Geschichte. Absender des Umschlags war die Neumarkter Krankenhaushilfe, welche eine Broschüre mit Informationen und anregenden Texten für die kalte Jahreszeit schickte – fürwahr eine nette Geste. Tatsächlich sorgten aber nicht der Inhalt oder der Absender des Umschlages für einen nachdenklichen Moment im Wochenblatt-Team, sondern die Anschrift, an welche der Brief adressiert war: „An die Redaktion des Neumarkter Wochenblattes – Herrn Erich Zwick – Bahnhofstraße 17b − 92318 Neumarkt“.
Nur langjährige Mitarbeiter des Wochenblattes sahen sich durch diese Zeilen vom „Geist vergangener Redaktionen“ heimgesucht – denn schon seit über fünf Jahren ist die Redaktion nicht mehr in der Bahnhofstraße beheimatet, sondern einige hundert Meter weiter im Museum für historische Maybach-Fahrzeuge. Dass der Brief mit inkorrekter Anschrift ohne offiziellen postalischen Nachforschungsauftrag an die verzogenen Empfänger zugestellt werden konnte, spricht für die Ortskenntnis und Auffassungsgabe des zuständigen Briefträgers. Da die Damen und Herren Zusteller wegen Corona momentan ein massives Pensum zu bewältigen haben, ist allein diese Tatsache fast schon ein kleines „Weihnachtswunder“.
Seinen eigentlichen Empfänger kann der Brief dennoch nicht persönlich erreichen. Tatsächlich arbeitete früher ein Herr namens Erich Zwick als Journalist in Neumarkt – mit seinem pointierten, treffsicheren Stil prägte er über Jahrzehnte hinweg die Lokalberichterstattung einer hiesigen Tageszeitung und später auch im Wochenblatt. Dass die veraltete Anschrift für einen Moment des Innehaltens sorgte, liegt daran, dass der geschätzte Kollege bereits 2013 viel zu früh nach schwerer Krankheit verstarb.
Im Grunde hätten wir den nie um einen Griff in die Trickkiste verlegenen Journalisten zugetraut, selbst aus dem Ruhestand einen Brief dieser Art an unsere Redaktion zu senden – sozusagen als augenzwinkernde Erinnerung an frühere Zeiten. Und anders als Dickens´ Geizhals würde es uns sogar freuen, wenn uns dieser „Geist vergangener Redaktionen“ vor Weihnachten persönlich „heimsuchte“ – denn er wüsste definitiv, wie man diesen Artikel zu einem pointierten Abschluss bringen könnte…