Besondere Naturführung am geplanten Standort bei Pyrbaum
jpl/ub
Pyrbaum ist noch nicht ganz aus dem Schneider: Nur acht Kilometer ist das Zentrum der Marktgemeinde von dem zum Landkreis Roth gehörenden Ort Harrlach entfernt. Dort befindet sich – direkt neben der bestehenden Bahntrasse und der Autobahn – ein “Betrachtungsraum” für den Neubau eines der größten ICE-Instandhaltungswerke Deutschlands.
Im vergangenen Jahr gab es noch neun potentielle Standorte für das Projekt, die Deutsche Bahn (DB) geht nach eingehender Prüfung jetzt mit drei übriggebliebenen Vorschlägen in das bald startende Raumordnungsverfahren: Das Gelände der ehemaligen Munitionsanlage MUNA in Feucht, ein weiteres Areal südlich der MUNA und der eingangs erwähnte Standort bei Harrlach. Die Regierung von Mittelfranken muss die Vorschläge bewerten, die Proteste von Gegnern regen sich allerorten.
Zahlreiche Bürgerinitiativen wurden bereits gegründet und Christine Garibasch, die Geschäftsführerin Oberpfalz von Bündnis 90/Die Grünen, widmete sich vergangene Woche dem Thema von einer ungewohnten Seite: Am Freitag trafen sich 50 interessierte Bürger in dem betroffenen Gebiet nahe der Straßmühle zu einer Kräuterwanderung. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Christine Garibasch zu Beginn nicht nur auf die Natur der schützenswerten Kräuter konzentrierte: „In diesem Gebiet steckt noch eine Menge an Zündstoff, da es komplett Einzugsgebiet für das angrenzende Wasserschutzgebiet der Stadt Fürth ist.“ Nach Angaben des Bund Naturschutz bezieht die Kleeblattstadt rund 44 Prozent ihres Trinkwassers aus der Harrlacher Region. Doch auch im Neumarkter Raum findet das kühle Nass aus der Tiefe Verwendung, zum Beispiel bei der Getränkeproduktion. Franz Xaver Gloßner sen., ehemaliger Geschäftsführer der gleichnamigen Brauerei, war bei der Kräuterwanderung vor Ort und äußerte die Befürchtung, dass ein ICE-Werk an diesem Standort negative Folgen auf die Verfügbarkeit und die Qualität des Trinkwassers haben könnte. Auch der Bund Naturschutz Pyrbaum/Postbauer-Heng geht davon aus, dass dies die Situation in einer „trockenen Region mit bereits stark gesunkenen Grundwasserspiegeln“ verschärfen werde. DB-Projektverantwortlicher Carsten Burmeister betont jedoch auf Nachfrage des Neumarkter Wochenblattes, dass das Werk keinen derart immensen Wasserverbrauch habe, dass ein „regionales Versorgungsunternehmen diesen nicht auch stemmen könnte.“ Auch das Versickern von Regenwasser in den Grund sei an allen anvisierten Standorten weiterhin durch moderne Technik sichergestellt.
Über andere negative Auswirkungen, welche Gegner des Projekts befürchten, hat das Wochenblatt bereits ausführlich berichtet, darunter Lichtverschmutzung, Huptests, Abfallentsorgung und Rodung des Bannwaldes. Letzterer wurde bei der Kräuterwanderung intensiv unter die Lupe genommen. Christine Garibasch, ihr Ehemann Sigi Hauff und Maik Stüben, Schatzmeister der Ortsgruppe des Bund Naturschutz, führten die Teilnehmer durch den „Betrachtungsraum“ – am Finsterbach entlang, welcher von Pyrbaum aus mitten durch das Planungsgebiet läuft. „Nur weil der Grundstückspreis niedrig ist, muss man das Werk nicht hier in diesen schützenswerten Raum bauen“, sagte Hauff. Welch facettenreiche Natur dort vorhanden ist, lernten die Teilnehmer von Kräuterpädagogin Garibasch. Sie erfuhren, wie wichtig z.B. unterirdische Pilzgeflechte für die gesamte Vielfalt des Waldes sind, damit die Bäume weiter Wasser filtern und Erosion verhindern können. 57 Wildbienenarten seien so spezialisiert, dass sie auf die Vielfalt des Forstes angewiesen seien: „Wald verlieren können wir uns nicht mehr leisten“, betonte Garibasch. Die Kräuterexpertin erklärte die Bedeutung von Heidekraut als Heilpflanze und der Heidelbeere als Schutz des Waldes vor Austrocknung. Schließlich entdeckten die Wanderer direkt neben der bestehenden ICE-Trasse einen Bestand von Saalweiden, welche Salicylsäure produzieren – eines der ältesten Hausmittel überhaupt. „Es ist quasi der Vorläufer von Aspirin“, so Christine Garibasch.
Derart für Details sensibilisiert mag so mancher Teilnehmer der Kräuterwanderung Kopfschmerzen bekommen haben, wenn er sich vorstellte, dass es diesen Wald nach Bau des ICE-Werkes nicht mehr geben könnte. Die Gegner des Projektes plädieren letztendlich dafür, weitere mögliche Standorte wie ein vor kurzem ins Spiel gebrachtes Gelände am Nürnberger Hafen genauer zu prüfen – oder das ICE-Werk im Raum Nürnberg prinzipiell kleiner zu bauen und die Infrastruktur auf mehrere Standorte in Süddeutschland zu verteilen.
Die Regierung von Mittelfranken muss nun als zuständige Planungsbehörde die von der DB eingebrachten Vorschläge prüfen. Der Projektverantwortliche Carsten Burmeister betont, dass ein wichtiges Kriterium die Nähe zum Nürnberger Hauptbahnhof sei. Optimal wäre natürlich ein Areal, welches quasi keinen Eingriff in die Natur und keine Lärmauswirkungen mit sich brächte. „Wir sind uns sehr sicher, dass wir intensiv in der Region geschaut haben und dass es so einen Standort einfach nicht gibt. Von daher geht es eben darum, den Eingriff zu minimieren, zu optimieren und alles, was sich nicht vermeiden lässt, auszugleichen.“ Die Deutsche Bahn geht davon aus, für das Werk eine Fläche zwischen 35 und maximal 45 Hektar zu benötigen – wie viel genau, hängt von den jeweiligen Gegebenheiten an den drei Standorten ab. „Da ist dann aber alles drin, also die Werkstatt, Parkflächen, Sozialgebäude, Lagerflächen, Gleisanlagen und die Zuwege“, betont Burmeister. Mit Blick auf die Mobilitätswende sei es zwingend notwendig, solche Werke zu errichten. Und prinzipiell ist diese Wende ja auch in den Augen von Bund Naturschutz und Bündnis 90/Die Grünen ein erstrebenswertes Ziel. Nicht jedoch ein ICE-Werk bei Harrlach. „Ich denke, dass hier die Prognosen der Bahn zur Verdoppelung der Fahrgastzahlen in den nächsten Jahren mit Vorsicht zu genießen sind“, sagt Maik Stüben, „und letztendlich sollte unserer Meinung nach für eine Mobilitätswende vor allem erst mal der Nahverkehr gestärkt werden.“